Autonomes Fahren: „Der Stack ist das entscheidende“

Arne Schneemann, Vorstand DB Regio Straße (links) und BVG-Chef Henrik Falk (rechts) verlangen auf der Mobility Move in Berlin eine rasche Skalierung von AD-Projekten; Foto: FVL, Mobility Move / Tilman Schenk

Gibt es genug Skalierungspotenziale im deutschen Nahverkehr beim Thema autonomes Fahren (AD)? Und wird die Branche mit ihren Bedarfs- und Liniendiensten vorne dabei sein? Ein Fachpanel der jüngsten Mobility Move diskutiert beide Fragen und tendiert zu viel größeren Entwicklungspartnerschaften als heute.

Berlin wird dasselbe machen wie Hamburg“, sagte BVG-Chef Henrik Falk mit Blick auf die ambitionierten Projekte, die in Kürze in der Hansestadt mit Level 4-tauglichen Fahrzeugen in den Testbetrieb gehen. „Es gibt dieselben Strategien wie dort, und es geht wirklich darum, Märkte zu entwickeln.“

Auch Arne Schneemann, Vorstand DB Regio Straße, betonte, sein Unternehmen wolle „selber Kompetenz für autonomes Fahren aufbauen und am Ende auch Angebote machen können.“ Er verwies auf Pilotprojekte, die DB Regio unterstützt oder gar aus der Taufe gehoben hat. Dabei sei es „fast egal, ob es Linie ist oder Bedarfsautos sind, wir müssen angebotsfähig sein für alles, was bei uns bestellt wird“, so Schneemann.

Typischerweise setzten AD-Projekte in der Branche noch auf kleinere Gefäße. Auch DB Regio werde sich in den nächsten Jahren vorrangig mit diesen Fahrzeugen befassen, ergänzte Schneemann. Das passe zum Handlungsbedarf gerade im ländlichen Raum. Hier brauche es „kluge Bedarfskonzepte in Ergänzung zur Linie“. Andererseits würden in den Großstädten eher autonome Linienbusse helfen und nicht „noch mehr kleine Fahrzeuge“, die zusätzlich die Straßen zustellten, so der DB-Manager. Erste zarte Skalierungs- beziehungsweise Verbreiterungsansätze stellte Lena Kleinschmidt, Director Commercial bei der Benteler-Tochter Holon, am Beispiel Hamburg in Aussicht. Im Rahmen des Alike-Projekts plane Fahrzeuglieferant Holon mit der Hochbahn nun „durchaus mit mehr als den drei bis fünf Fahrzeugen, die bislang in vielen Pilotprojekten getestet“ wurden, so Kleinschmidt mit Blick auf die im Sommer startenden Erprobungen. Im Gesamtprojekt sollen es bis zu 20 Fahrzeuge werden.

Die Holon-Managerin betonte zudem, dass Alike durchaus kein „losgelöstes, autonomes Technologieprojekt“ mehr sei, vielmehr das Angebot eingebunden werde in die bestehende Service-Landschaft. Die Nutzer könnten über die bekannten Apps die Fahrten buchen. „Da sind wir tatsächlich mit den Partnern schon näher am realen Einsatz für die Skalierung, als es in anderen Konstellationen bisher der Fall gewesen ist“, so Kleinschmidt. Zumindest aus Planungssicht gehe man für 2027 davon aus, „wirklich in eine Breite und Skalierung zu gehen“.

Unter dem Strich sind aber für DB-Straße-Vorstand Schneemann, der auf Projekte mit eigener Beteiligung wie Kira (im RMV) oder Ultimo (in Herford) verwies, die bisherigen Projekte im deutschen Nahverkehr nicht ausreichend für eine Skalierung. „Wir sind da zu klein. Aus dieser Phase müssen wir jetzt herauskommen“, verlangte er. Er sehe auch in der Politik „Einigkeit, dass ein fokussierterer Ansatz nötig ist, der größere Stückzahlen auf die Straße bringt und damit mehr Lernpotenzial, mehr Transfer. Wir müssen die Kleinteiligkeit, die ein Stück weit systemimmanent ist im deutschen ÖPNV, überwinden“, so Schneemann.

Europa oder Deutschland – „Der Stack ist das Entscheidende“

Für BVG-Chef Falk ist das autonome Fahren weit über die ÖPNV-Grenzen hinaus in Richtung Industrie zu denken. „Ich habe den Eindruck, dass man in Deutschland hofft, dass wir das Thema über den ÖPNV ein bisschen vorantreiben können, weil das mit der Autoindustrie nichts zu tun hat – das ist, glaube ich, ein fataler Fehler, in den möchte ich als ÖPNV-Vertreter nicht hineinlaufen“, sagte Falk auf dem Podium der Mobility Move. Es könne nicht um autonomes Fahren separat im ÖPNV gehen.

Ein Hauptproblem sieht Falk darin, dass in allen wesentlichen Projekten in Deutschland und Europa die Technik des israelischen Systemanbieters Mobileye stecke – „es gibt keinen deutschen Stack“, bedauerte Falk mit Blick auf das Kernelement der AD-Software. Das führende System habe die Google-Tochter Waymo entwickelt, dahinter komme Mobileye. Der Stack aber sei entscheidend. „Und da spielt es überhaupt keine Rolle, ob wir über ÖPNV oder den Pkw reden, wir müssen diese Frage viel größer diskutieren.“

„Stack“-Konsortium à la Airbus?

Markus Heß, Unterabteilungsleiter im Bereich Industriepolitik beim BMWK, verwies auf den großen US-Markt mit 340 Millionen Menschen. „Nur wenn wir Europa insgesamt nehmen, könnte sich das auch rechnen“, schlussfolgerte er daraus. Der Trend in der Automatisierung in der Industrie generell sei, so seine Einschätzung, „föderiert und Open-Source-basiert“. Er empfiehlt daher: „Vorwettbewerblich zusammenarbeiten, darauf aufsetzten und herausfinden, wie man das kombinieren kann.“ Erst darauf aufbauend kämen die Geschäftsmodelle. „Ich will da niemandem zu nahe treten, aber ich denke, in der fragmentierten ÖPNV-Landschaft steht schon sehr lange das System gegen so etwas“, so Heß. Im Maschinen- und Anlagenbau etwa gebe es diese System-Fragmentierung nicht. Die Unternehmen wüssten, „wenn sie den Stack alleine entwickeln, wären sie komplett finanziell überfordert – und im Scale-up erst recht“. Es sei genug Wissen vorhanden, aber: „Wie kriegen wir das sinnhaft kombiniert?“

Nicht in seinem Sinne wäre eine zu enge europäische Lösung, etwa ein Gemeinschaftskonzern à la Airbus: Zum einen glaube er an Wettbewerb, zum anderen gebe es unglaublich viele regionale Besonderheiten. „Wir haben einen Rechtsrahmen, der anders ist als in Italien oder in Frankreich.“ Zu viele Baustellen müssten bewältigt werden, „bevor sich ein Unternehmen überhaupt die Frage stellen kann, schließe ich mich mit jemand anderem zu einer Art Airbus zusammen“, so Heß.

Auch Ricco Kämpfer, Senior Consultant bei der Unternehmensberatung und Softwareschmiede P3 Automotive, begrüßte „den Gedanken für einen europäischen oder gar deutschen Stack“. Er habe in den vergangenen Monaten häufig Ideen für ein Konsortium vernommen. Die Frage sei: „Wie schnell sind wir?“ Er warnte davor, „einen weiteren großen und langsamen Tanker“ zu schaffen. Es brauche „tatsächlich die klügsten Köpfe und ein leistungsfähiges Konsortium“ zusammen, vermutlich mit großen Zulieferern etwa aus Deutschland oder Frankreich, sowie mit Start-ups als Kernakteuren. Auch BVG-Chef Falk wies darauf hin, einen Stack „hochzuziehen“, habe klassischerweise „relativ wenig mit der Automobilindustrie zu tun: Waymo ist kein Autokonzern, auch nicht Mobileye.“

P3-Berater Kämpfer wies schließlich darauf hin, man werde vor allem „viel, viel besser fördern müssen, nicht zuletzt damit die Abwanderungsgedanken in Richtung USA geringer werden“. Wie sehr die Schere bei den Investitionen in die Zukunftstechnologie AD auseinanderklafft, machte BMWK-Mann Heß deutlich. So würden in den USA teils „500 Millionen bis eine Milliarde“ in ein einziges Projekt gesteckt. „Das ist ungefähr die Zahl, 500 Millionen Euro, die wir in zehn Jahren in diesen Forschungsund Systembereich investiert haben“, so Heß. (dhe)

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