Für mehr Sicherheit muss an vielen Stellschrauben gedreht werden

Fachleute aus Branche und Politik trafen sich am 21. und 22. Mai 2025 zur 1. ÖPNV-Sicherheitskonferenz in Berlin-Kreuzberg im „Spielfeld Digital Hub“ in Berlin-Kreuzberg. Am Mikrofon SMW-Sicherheitschef Rainer Cohrs; Foto: Michael Fahrig / NaNa
Laut einer VDV-Umfrage geben 50 Prozent der Frauen an, nach 22 Uhr keinen ÖPNV mehr zu nutzen. Bei den Männern sagen dies noch 25 Prozent. Konsequenz sind weniger Fahrgäste. „Das bedeutet aber auch weniger Einnahmen“, schlussfolgerte Möller am 21. Mai 2025 in Berlin auf der von der NaNa-Brief-Schwesterpublikation NaNa mit dem fachlichen Partner VDV ausgerichteten Tagung.
Möller erneuerte Forderungen seines Verbands an die Politik. Der ÖPNV müsse kriminalstatistisch gesondert abgebildet werden. Videoaufzeichnungen sollten länger, 30 Tage, gespeichert werden dürfen. Zufrieden zeigte sich Möller mit Blick auf den Regierungswechsel, „dass die Idee der Ampelkoalition, das Schwarzfahren zu legalisieren, nicht mehr Wirklichkeit geworden ist“.
Imageprobleme des Fahrberufs
Negative Effekte, das zeigte die Konferenz, hat Sicherheit auch auf die Beschäftigten. Jährlich würden im ÖPNV auf 1.000 Mitarbeitende 123 Gewaltvorfälle gemeldet. „41 Prozent der Beschäftigten erleben mindestens einmal im Jahr einen Übergriff“, so Möller. Auch Christiane Behle, die für den Nahverkehr zuständige Vizevorsitzende der Gewerkschaft Verdi, verwies in Berlin auf das mittlerweile „riesige“ Problem für die Mitarbeiter, „die tägliche Arbeit zu erledigen, ohne angegriffen zu werden“. Das sei zwar nicht neu. Verdi-Befragungen – Stand vor der Pandemie und für den öffentlichen Dienst insgesamt – hätten gezeigt, dass 67 Prozent der Beschäftigten Gewalterfahrung machten. Nach der Pandemie habe sich das Problem aber „massiv verschärft“. „Mangelnder Respekt“ sei nicht nur für die Rekrutierung von Personal ein Problem, betonte VDV-Mann Möller, „auch die Fluktuation ist zu hoch“.
Unzureichend ist laut Verdi-Vertreterin Behle auch die Nachsorge. Hier brauche es „Strukturen für den Fall, dass etwas passiert“. Insbesondere gelte dies, wenn es darum gehe, den Anteil der Frauen im Fahrdienst zu erhöhen. Gerade diese Gruppe leide unter den Folgen. Problematisch sei auch, dass Beschäftigte mit Gewalterfahrung Vorfälle nicht anzeigten. 70 Prozent der Beschäftigten, so Verdi-Erkenntnisse, meinten, es werde ihnen ohnehin nicht geholfen.
Thorsten Fleiß, Leiter Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz, Landespolizei Düsseldorf, forderte von den Arbeitgebern, „dass man dahintersteht und auch tatsächlich Strafanzeige erstattet“. Daran fehle es bei manchen Unternehmen, „da bei bestimmten Delikten überhaupt keine Strafanträge gestellt“ würden.
Verständnis von Mitarbeitenden und Fahrgästen
Mit Blick auf Sicherheitsschulungen von ÖPNV-Beschäftigten wurde ein breiter Ansatz diskutiert. „Es geht nicht darum, dass alle Mitarbeiter zu Sozialarbeitern werden“, betonte Michael Kraft, Leiter des Fachbereichs Bahnhofsmissionen der Berliner Stadtmission. Er wünsche sich aber ein „Zuarbeiten“. In einem Projekt mit der Deutschen Bahn hatte seine Organisation sowohl Azubis von DB-Sicherheit als auch Zugbegleiter im DB-Regionalverkehr und der S-Bahn für die „Lebenswelten von Obdachlosen oder von Armut betroffenen Menschen“ sensibilisiert. Diese Horizonterweiterung helfe zugleich, denjenigen, der für Sicherheit sorgen soll, „in seinem Job gesund und stabil zu halten“.
Gewerkschafterin Behle stellte aber klar, „dass jemand im Fahrdienst kein Sicherheitsmitarbeiter ist“. Teilweise werde eine „Erwartungshaltung“ geschürt, vor der sie warne.
Kontrovers blieben Ansätze, auch die Fahrgäste zu schulen, um das Sicherheitsgefühl zu erhöhen. Dazu riet etwa Karl-Peter Naumann, Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn. Reisende erlernten, „wie sie mit prekären Situationen umgehen“, und könnten wieder Tipps geben. Er verwies auf die Arbeit der MuTiger-Stiftung, die im VRR mit Angeboten aktiv ist. Dies sollte bundesweit ausgeweitet werden.
Widerspruch kam von VDV-Geschäftsführer Möller: „Wenn wir jetzt anfangen, in der öffentlichen Mobilität Kunden zu schulen, dann habe ich ein Störgefühl.“ Öffentliche Mobilität müsse, um attraktiv zu sein, einfacher werden. „Ich möchte kein Coaching in Zivilcourage machen müssen, um mich im ÖPNV einigermaßen sicher zu fühlen“, so Möller. Er warnte auch vor „Komplexität in der Diskussion“.
Sind Frauenabteile wirklich schnell wirkende Maßnahmen?
Für Aufsehen sorgte in den vergangenen Wochen der Vorschlag der Politikerin Antje Kapek für Frauenabteile in U- und S-Bahnen. Bei der ÖPNV-Sicherheitskonferenz betonte die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Separierung sei kein politisches Konzept, das sie persönlich und ihre Partei für sinnvoll hielten. Anlass ihres Vorschlags sei aber ein konkreter Fall einer Vergewaltigung in der fahrenden U-Bahn gewesen. Im Fokus müsste daher eine schnell umsetzbare Maßnahme zur Verbesserung der Sicherheit von Frauen im öffentlichen Verkehr stehen.
Kapeks Sparringspartner in einem kleinen Podium zum Auftakt des zweiten Kongresstages am 22. Mai 2025 war VDV-Geschäftsführer Möller. Der Branchenvertreter verwies auf Probleme nicht nur bei der Einrichtung abgetrennter Abteile, sondern auch der Kontrolle und Durchsetzbarkeit. Es sei nichts gewonnen, wenn „unerlaubte Personen“ nicht unmittelbar des Abteils verwiesen werden könnten – oder wenn der Schutz an der Fahrzeugtür ende, weil an der Haltestelle und auf den Zuwegungen keinerlei Maßnahmen unternommen würden.
In Reaktion auf Kapeks Vorstoß hat sich in Berlin inzwischen eine Initiative für die Einrichtung sogenannte Flinta-Abteile etabliert. Der Begriff steht für „Frauen, Lesben, Inter, Nonbinär, Trans, Agender“, das heißt geschlechtslose Identität. Die Petition auf Change.org hat seit dem 14. April 2025 mehr als 25.000 Unterstützer*innen gefunden. Die Hamburger Petition „Frauenwagons in U- und S-Bahnen“ (so die Schreibweise der Petenten, die Redaktion) wurde seit dem 21. Februar 2025 knapp 38.000 Mal gezeichnet.
Zusammenarbeit über die Kompetenzgrenzen hinweg tut not
Einen weiteren Schlüssel für mehr Sicherheit im ÖPNV erkennt Möller hingegen in Kooperationen. Schon „weil wir keine polizeilichen Befugnisse haben“, wie Möller bereits in seiner Eingangsrede am ersten Konferenztag betonte. „Und wir haben kein Hausrecht an Haltestellen im öffentlichen Raum.“ Gemeinsam angehen müsse man aber auch die Bekämpfung der tiefer liegenden Ursachen: „Obdachlosigkeit ist schlimm. Wir müssen Obdachlosigkeit als Gesellschaft bekämpfen – nicht die Obdachlosen!“, verlangte der Verbandsfunktionär. Es sei trotzdem nicht Aufgabe der öffentlichen Mobilität, dieses Problem in Bahnhöfen, Stationen und Fahrzeugen zu lösen. „Wir brauchen eine konzertierte Aktion der Gesellschaft und kein Verantwortung-Schieben auf die öffentliche Mobilität.“
Rainer Cohrs, Sicherheitschef der Stadtwerke München und damit auch für die MVG zuständig, weitete den Blick auf das Umfeld und die Zuwege der Anlagen von Bus und Bahn. Es bringe nichts, den U-Bahnhof hell und sicherheitsoptimiert zu gestalten, ihn womöglich auch zu bewachen, wenn die Leute nicht sicher dorthin gelangten. „Der ÖPNV ist immer eine Wegekette“, erinnerte Cohrs an die Mitverantwortung von Kommunen und staatlicher Polizei.
Appell zu aktiver PR, zu betrieblichen Maßnahmen und an die Aufgabenträger
Cohrs rief die Branche auf, der gefühlten Sicherheit mehr Information um die tatsächliche Lage entgegenzusetzen. Die SWM-Meinungsforschung zeige, dass die Menschen sehr wenig über die Sicherheitseinrichtungen im ÖPNV wissen. „Das ist ihnen nicht vorzuwerfen, wir haben es ihnen noch nicht erzählt.“ Zu den Ursachen mangelnder Informiertheit mutmaßte Pro Bahn-Vertreter Naumann: „Manche Verkehrsunternehmen haben immer noch Angst, über Sicherheit zu reden, denn es könnte einen negativen Eindruck machen.“ Auch soweit es Kampagnen zum Thema Sicherheit gebe, dürften sie nicht – wie häufig der Fall – zu defensiv sein, so Naumann. Wie eine langfristig angelegte, explizite Sicherheitskommunikation an die Fahrgäste aussieht, zeigte HVV-Geschäftsführerin Anna-Theresa Korbutt. Die Hamburger Kampagne wird von einer ganzen Reihe an Maßnahmen begleitet, unter anderem der Ausweitung des Ausstiegs zwischen zwei Bushaltestellen in den Abendstunden.
Unter dem Aspekt der Sicherheit rücken erneut auch Zugangssperren für Stationen in die Diskussion. Alexander Möller kündigte an, der VDV wolle eine Studie in Auftrag geben, welche Investitionen für Bahnsteigsperren an deutschen Bahnhöfen inklusive des kommunalen Schienenverkehrs erforderlich seien. Im Forschungsvorhaben „Sicherheitsbahnhof“ beschäftige sich auch die Deutsche Bahn AG mit dieser Frage, erläuterte Projektleiter Florian Horn. Er gab zu bedenken, dass Sperren auch eine neue Zugangsbarriere für die Vielzahl redlicher Fahrgäste darstellen könnten. Im aktuellen Forschungsprojekt soll es im Spätsommer am Berliner Bahnhof Olympiastadion abseits des Regelbetriebs einen Versuchsaufbau geben, der dann mit 500 Probanden getestet wird.
Zur Bereitschaft von Aufgabenträgern, „Security“ zu finanzieren, gab SWM-Sicherheitschef Cohrs eine ambivalente Einschätzung. „Ein offenes Ohr gibt es dort schon, offene Kassen nicht unbedingt.“ Auch VDV-Mann Möller betonte, für eine „umfassende Sicherheits-Präsenz, wie manche sie nachvollziehbar verlangen“, müssten die Aufgabenträger beantworten, was an finanziellen Mitteln in die Sicherheit investiert werden könne. (dhe/mb/msa)