„Wir sind bewusst früh mit der Technologie an den Markt gegangen“

Kai Brandes, Leiter Personenbedienter Verkauf, DB Vertrieb; Foto: DB AG
NaNa-Brief: Was ist Beweggrund für die Entwicklung des stationären, KI-gestützten Reiseservice-Assistenten „Kiana“ durch DB Vertrieb?
Kai Brandes: Uns geht es mit dem KI-gestützten Service-Avatar darum, Beratung zurück in die Fläche zu bringen – dorthin, wo das Angebot an Bahnhöfen generell zurückgeht, aber durchaus auch an große Standorte. Als DB Vertrieb machen wir Serviceberatung und Verkauf, für DB Regio, DB Fernverkehr, aber auch für andere Auftraggeber. Es gibt die verschiedenen Vertriebskanäle – online beziehungsweise mobile, über die Reisezentren oder unsere Automaten. Und speziell an Bahnhöfen wird die personenbediente Serviceberatung immer herausfordernder.
NaNa-Brief: Woran liegt das?
Brandes: Tickets werden mittlerweile überwiegend online bzw. mobile gekauft, sowohl im Nah- als auch im Fernverkehr. Trotzdem gibt es das Bedürfnis, Hilfe auch am Bahnhof zu bekommen. Bei nur noch wenigen personenbedienten Verkäufen pro Standort trägt sich das aber nicht mehr über Provisionen. Auch der Fachkräftemangel macht vor diesen Formaten nicht halt.
NaNa-Brief: Die Lösung Kiana befindet sich im Testlauf am Berliner Flughafen – BER – und, ganz aktuell gestartet, in München parallel zur laufenden Mobilitäts-Messe IAA. Was sind die Grundfunktionen von Kiana und was ist das KI-spezifisch Neue?
Brandes: Bei unseren bisherigen Vertriebskanälen muss sich der Nutzer dem vorgegebenen Ablauf unterwerfen. Menschen ticken aber eigentlich anders. In einem echten Gespräch folgen sie eigenen Routinen und inneren Abläufen. Dieses Problem wollten wir über Sprache lösen. Und durch KI, die großen Sprachmodelle, wurde das plötzlich möglich. Für die Entwicklung von Kiana haben wir uns daher ganz auf die Sprachkompetenz fokussiert. Es sollte kein komplett neuer Vertriebskanal entstehen. Daher kommen für das Routing, die Buchung oder den Bezahlvorgang wie üblich der DB Navigator beziehungsweise die Plattform bahn.de zum Einsatz.
„Noch nicht nah genug an einer echten Konversation“
NaNa-Brief: Wie läuft der Service-Vorgang bei Kiana genau ab?
Brandes: Der Kunde aktiviert den Vorgang durch Auswahl der Sprache am Bildschirm. Wenn er dann sagt, er möchte etwa nach München fahren, wird Kiana so lange nachfragen, bis alle weiteren Informationen bekannt sind, um die Verbindung anzeigen zu können. Wenn der Kunde sich entschieden hat, zeigt Kiana einen QR-Code an. Den fotografiert der Kunde ab und wird in den DB Navigator, wenn die App bereits auf dem Handy installiert ist, oder auf die bahn.de-Seite geleitet, um ein Ticket auszuwählen. Die Zahlung als auch das gültige Ticket laufen über das eigene Smartphone, dort ist keine Eingabe von Daten nötig.
NaNa-Brief: Wie viele Sprachen beherrscht Kiana?
Brandes: Mittlerweile spricht unser System neun Sprachen. Wir haben am Standort BER 55 Prozent nicht-deutsche Anfragen. Neben Englisch wird sehr häufig Spanisch ausgewählt. Gerade bei den Sprachen ist der Berliner Flughafen natürlich ideal, um zu testen.
NaNa-Brief: Wie sind Ihre ersten Erfahrungen mit dem Sprachmodell, haben Sie ersten Verbesserungsbedarf entdeckt?
Brandes: Klar ist, es handelt sich um einen Prototypen. Bislang muss der Kunde „OK Kiana“ sagen, damit das Mikrofon startet. Wir stellen fest, dass dieser Befehl oft vergessen wird. Hört der Kunde auf zu sprechen, stoppt Kiana drei Sekunden später das Mikrofon und verarbeitet das Aufgezeichnete. An diesem Punkt haben wir gesehen, dass der Dialog zwar funktioniert, aber noch nicht nah genug an einer echten Konversation ist. Es ist kein fertiges Produkt. Wir sind bewusst früh an den Markt gegangen im Kundenbetrieb, um genau solche Feedbacks zu erhalten. Ein weiteres Problem ist, dass bei zu starken Umgebungsgeräuschen das Mikrofon offen bleibt. Hier gibt es definitiv Nachsteuerungsbedarfe.
NaNa-Brief: Sie haben sich für die stationäre Variante entschieden, könnte man den Avatar auch auf das Handy transferieren?
Brandes: Wir haben eher aus dem Blickwinkel der Reisezentren und der Agenturen am Bahnhof gedacht. Für mich ist Kiana in der aktuellen Form ein naheliegender Use-Case. In der ÖPNV-Welt gibt es eben noch den Vertrieb vor Ort. In der Zukunft sind viele Varianten denkbar: beispielsweise eine Reisebegleitung inklusive KI-Mobilitätsberatung. Dann wäre Kiana auf dem Handy und der Kunde könnte auch im Umsteigefall oder bei Verspätungen mit dem System sprechen.
NaNa-Brief: Sie betonen, Kiana könnte für einen schnelleren Service sorgen. Wie sehen die Einsatzszenarien aus, mehrere Avatar-Stelen an einem Standort oder auch zusätzlich zum Schalter?
Brandes: Die Situation an den Standorten ist sehr heterogen. Für mich ist der konkret greifbarste Fall ein kleinerer Bahnhof, an dem der Aufgabenträger personenbedienten Verkauf möchte, es aber wirtschaftlich oder personalbedingt nicht möglich ist, ein eigenes Reisezentrum zu unterhalten oder einen Agenturisten zu finden. Aber auch an großen Bahnhöfen könnte der Avatar etwa als Öffnungszeitenverlängerer dienen. Vor einem Reisezentrum ließen sich zudem drei oder vier Avatare als Ergänzung bei hohem Andrang bereitstellen. Auch eine Stufung ist vorstellbar: Nur die einfacheren Vorgänge, etwa eine Fahrplanauskunft, erledigt unser KI-Assistent.
Gespräche mit Aufgabenträgern führen
NaNa-Brief: Kann man die Kosten der KI-Assistenz grob ins Verhältnis setzen zum Aufwand, den ein persönlicher Service verursacht?
Brandes: Ein solcher Pilotbetrieb wie aktuell ist natürlich teuer. Die Anlage ist noch nicht skaliert, die Stelen sind kostspielig. Und vor allem muss die Softwareentwicklung bezahlt werden. Uns ist klar, um am Markt eine Chance zu haben, muss am Ende auch ein attraktiver Preis ausgesteuert werden.
NaNa-Brief: Zur Akzeptanz, könnten Menschen, die Wert auf Privatsphäre legen, womöglich Hemmungen haben, mit so einer Maschine beziehungsweise einem Bildschirm zu reden in der Öffentlichkeit?
Brandes: Wichtig ist auch hier, wir konzentrieren uns im Pilotbetrieb auf die Sprachkompetenz. Ich kann Ihnen aber bereits jetzt sagen, dass die Stele, so wie sie jetzt vorgesehen ist, nicht als finales Produkt geeignet ist. Denkbar als ausrollbares Produkt wäre womöglich ein etwas kleinerer Bildschirm mit einer Abschirmung. Zum einen, damit es schallgeschützter ist, aber auch, um den Schall besser zum Kunden zu lenken. All das werden Entwicklungsschritte sein, die über den aktuellen Fokus hinausgehen.
NaNa-Brief: Wird die Entwicklung beziehungsweise Weiterentwicklung digitaler, KI-gestützter Avatare zukünftig auch deshalb eine Rolle spielen, da die Aufgabenträger solche Technologien verlangen bzw. voraussetzen werden?
Brandes: Ich denke, dass es sich in diese Richtung entwickeln wird. Daher ist für uns wichtig, mit der Technologie im Markt zu sein, Aufgabenträgern das Produkt vorzustellen, mit ihnen Gespräche zu führen, wie sie das System nutzen wollen. Ich vermute nicht, dass wir nächstes Jahr schon eine erste Ausschreibung sehen werden, in der die Technologie nachgefragt wird. Da aber auch die Aufgabenträger aufs Geld schauen müssen und Personal knapp ist, zugleich aber für den Kunden vor Ort das beste Angebot gewünscht wird, dürften sie interessiert sein, was da für Lösungen entstehen.
Auch als White-Label-Angebot denkbar
NaNa-Brief: Auch andere Verkehrsakteure arbeiten an KI-Service-Avataren, nehmen Sie eine Art Wettlauf um die beste Lösung innerhalb der Branche wahr?
Brandes: In der Verkehrsbranche wie auch in anderen Branchen geht die Entwicklung einfach in diese Richtung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in fünf Jahren nicht solche Lösungen haben werden. Ich weiß, dass der Wettbewerb da auch genau hinschaut und wir als DB Vertrieb diesen Weg weitergehen müssen.
NaNa-Brief: Und wäre das finale Produkt etwas, das Sie auch anderen Verkehrsakteuren anbieten? Im Sinne einer White-Label-Lösung oder Ähnlichem?
Brandes: DB Vertrieb ist ja ohnehin Vertriebsdienstleister, nicht nur für DB Fernverkehr und DB Regio, sondern wir haben ja auch andere Verkehrsunternehmen unter Vertrag. Insofern ist das klar denkbar. Wie konkret, ist natürlich offen. Aber wenn der Aufgabenträger im Rahmen einer Nahverkehrsausschreibung ein solches Produkt fordern sollte, und jemand möchte von uns ein Angebot, dann stehen wir bereit, warum nicht. Der Markt entwickelt sich aber natürlich gerade erst.
NaNa-Brief: Sie betreiben auch rund 140 stationäre Videoreisezentren. Ist Kiana auch als Weiterentwicklung dieses Angebots gedacht oder könnte es gar ersetzen?
Brandes: Die Videoreisezentren sind, wenn der Aufgabenträger das möchte, eine gute Variante, wenn es vor Ort nicht leistbar ist, ein mit Personal besetztes Reisezentrum anzubieten. Wenn irgendwann einmal kein Aufgabenträger ein Videoreisezentrum mehr fordern sollte, werden wir es auch nicht mehr anbieten. Die Kiana-Entwicklung ist davon aber unabhängig, ein zusätzliches Format.
Man kann sich aber natürlich diese Formate auch in einer gestuften Logik vorstellen. Warum nicht ins Videoreisezentrum gehen und dort zunächst auf Kiana treffen? Erst wenn Kiana an ihre Grenzen kommt, könnte weitergeleitet werden an einen Reiseberatenden im Hintergrund. Es gilt immer zu überlegen, wie die kostbare Ressource Mensch am besten eingesetzt werden kann.
NaNa-Brief: Wie lange läuft der Testbetrieb, und wie könnte es weitergehen?
Brandes: Gesichert lassen wir den Testbetrieb bis Ende Oktober laufen. In Kürze entscheiden wir, ob der Pilot bis Ende des Jahres verlängert wird. Neben der Stele am BER wurde eine weitere nun in München im Umfeld der IAA aufgestellt. Sie wird direkt im Anschluss an die Messe weiterziehen und in einem unserer Reisezentren verfügbar sein. Im nächsten Jahr könnte dann die nächste Evolutionsstufe für Kiana beginnen. Bis zum fertigen Produkt wird es wohl noch ein wenig dauern.
NaNa-Brief: Herr Brandes, vielen Dank für das Gespräch. (dhe)