„Ein ‚Pisa’ in der Infrastruktur anschieben“

Im Vorfeld der VDV-Jahrestagung 2012 begründet Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff, warum er für Direktvergaben, eine breit angelegte Infrastrukturkampagne und gegen einen Systemwechsel im ÖPNV ist. Im Interview mit „ÖPNV aktuell“ weist er Behauptungen zurück, der VDV habe den Regierungsentwurf zum PBefG verfasst. Zugleich wirbt er für eine stärkere Präsenz auf internationalem Parkett, sei es in Brüssel, sei es in Kampala.

Stimmt es, dass Sie auf der VDV-Jahrestagung in Düsseldorf das erste afrikanische Verbandsmitglied präsentieren?

Oliver Wolff: Ja. Pioneer Easy Bus übernimmt wesentliche Teile des Stadtbussystems in der ugandischen Hauptstadt Kampala. Der Kontakt kam über den früheren Geschäftsführer der S-Bahn Berlin, Tobias Heinemann, zustande. Er arbeitet jetzt für die kenianisch-ugandische Bahngesellschaft Rift Valley Railways und sitzt bei PEB im Beirat. In der Jahrestagung geht es aber vor allem um den Mitarbeiter eines Betriebes im VDV, der dort Pionierarbeit geleistet hat.
 
Wie profitiert das exotische Neumitglied vom VDV, wie der VDV von seinem afrika­nischen Zugang?

Wolff: Pioneer Easy Bus muss die Aufgabe schultern, gemeinsam mit dem Aufgabenträger Groß-Kampala den Nahverkehr für 1,4 Mio. Bürger zu modernisieren. Als junges, erst 2005 gegründetes Unternehmen steht der Ausschreibungsgewinner vor vielfältigen betrieblichen Problemen. Da fehlen zum Beispiel Fahrer-Dienstanweisungen. Andererseits verfügt Ugandas Wirtschaft über ein hochentwickeltes Handy-Bezahlsystem. Jetzt wird diskutiert, ob es und wie es bei Pioneer Easy Bus zum Einsatz kommen kann.
Primär geht es um den Know-how-Transfer in Richtung Uganda. Für uns ist es aber interessant zu erleben, wie man sich in anderen Systemen und mit anderen Mentalitäten zurechtfinden kann und muss. Und am Ende kommen auch die Produkte unserer Industrie gut vor Ort an.
Nach dunklen Jahren von Gewaltherrschaft und Bürgerkrieg ist Uganda auf einem guten und stabilen Weg in eine demokratische Gesellschaft. Auch dazu können wir in unserem Fachgebiet einen Beitrag leisten. Entwicklungshilfe muss man leisten, nicht nur darüber reden.

Zur Jahresversammlung hat Bundesbau- und -verkehrsminister Peter Ramsauer eine Rede angekündigt. Der CSU-Politiker versteht sich selbst auch als „Außenwirtschaftsminister“. Wollen Sie Herrn Ramsauer in Düsseldorf ein VDV-Exportförderprojekt präsentieren?

Wolff: Als starke Exportnation verdanken wir unseren Wohlstand unter anderem vielen Kunden in aller Welt, die auf deutsche Ingenieurskunst setzen. Unser Fördermitglied IVU hat gerade vor einer Woche vor Ort E-Ticketing und Flottenmanagement-Systeme präsentiert. Beim Fuhrpark setzt Pioneer Easy Bus bislang auf den chinesischen Hersteller Yutong, aber auch da bewegt sich jetzt etwas.
Als großer Fachverband haben wir seit unserer Gründung technische Standards erarbeitet, die zum Beispiel die deutsche Industrie nutzen kann, um passgenaue und kostengünstige Produkte anzubieten. Ich bin daher froh, dass wir die vakante Stelle des VDV-Technikgeschäftsführers ab September mit Martin Schmitz besetzen konnten.
Ich freue mich auch, dass unsere Verwaltungssparte Tram künftig direkt in Brüssel vertreten sein wird, um deutsche Interessen bei der Neufassung europäischer Stadtbahn-Normen einzubringen. Beim EU-Projekt „Urban Rail“ muss man anderen starken Playern, wie der französischen RATP, auf Augenhöhe begegnen.

Der Verband will die Infrastrukturfinanzierung und die politische Kommunikation dazu in den Mittelpunkt der Jahrestagung stellen. Warum?

Wolff: Unsere bisherige Kommunikation mit der Politik ist unverändert sinnvoll und notwendig. Doch es reicht nicht aus, die Verkehrspolitiker zu überzeugen, wenn diese anschließend bei ihren Finanzkollegen abblitzen. Mehr Geld für Bildung? Da sagt jeder: „Das ist sinnvoll, dafür muss der Staat mehr ausgeben!“ Aber Infrastruktur? Dieses Thema bewegt nur wenige Bürger. Allenfalls artikuliert sich der Wählerwille hier in Form von Skepsis oder sogar lautstarkem Protest gegen neue Trassen, neue Projekte.
Das gemeinsame, breit aufgestellte Vorgehen verschiedener Verbände und bedeutender Wirtschaftsunternehmen soll eine Graswurzelbewegung für ein „Pisa“ in der Infrastruktur anschieben. Also nicht Werbung für dieses Thema, sondern Auseinandersetzung damit.

An welche Größenordnung denken Sie?

Wolff: Das Ganze ist auf sieben Jahre von 2013 bis 2019 angelegt. Das finanzielle Engagement lässt sich heute noch nicht final abschätzen, dazu müssen noch viele Gespräche mit zahlreichen Partnern geführt werden. Aber Dialoge, die so lange angelegt sind und beim Bürger ankommen sollen, verursachen hohe Kosten. 

Wen haben Sie als Partner im Auge?

Wolff: Wir schlagen ein abgestimmtes Vorgehen auf drei Säulen vor – für die Infrastruktur im öffentlichen Verkehr, im Individualverkehr und in der Energiewirtschaft. Auto-, Bahn- und Bau­industrie, die Wirtschaft im Ganzen, sind uns daher als Partner ebenso willkommen wie die Akteure in der Energiewirtschaft, die Gewerkschaften oder Verbraucherverbände. Ausweiten lässt sich das aber ohne weiteres auch auf die Telekommunikationsbranche.  

Gibt es schon Zusagen von anderen Verbänden, welche Organisationen wollen sich die Teilnahme überlegen?

Wolff: Das Interesse an einer Teilnahme ist sehr groß, unsere übergreifende Initiative hat ein erfreulicherweise starkes Echo gefunden. Aber die Basis dieser Initiative ist ihre Gemeinsamkeit, daher wollen wir an dieser Stelle als VDV den anderen möglichen Partnern nicht nur eine Teilnahme ermöglichen, sondern eine gemeinsame Entwicklung. Genau deshalb sind wir auch so früh auf Partner, wie etwa den VKU und andere zugegangen.
  
Ein weiterer wichtiger Faktor im Geschäft des Personenverkehrs ist der Rechtsrahmen. In der politischen Auseinandersetzung um AEG und PBefG werfen Kritiker wie Toni Hofreiter von den Grünen oder der Wettbewerberverband Mofair dem VDV vor, mit seinem Eintreten für Direktvergaben sei er in erster Linie Sachwalter der Altbetreiber-Interessen. Ist diese Kritik gerechtfertigt?

Wolff: Wir sind nicht die klassischen Lobbyisten, bei uns steht immer Daseinsvorsorge drüber. In gewisser Weise erfüllen wir zum Beispiel die Aufgabe einer „Bundesanstalt für Schienenwesen“, es gibt ja schließlich auch eine Bundesanstalt für das Straßenwesen in Bergisch Gladbach.
Der VDV befürwortet Wettbewerb, aber es gibt dennoch auch viele gute Gründe für Direktvergaben – um zum Beispiel einen geordneten Übergang in den Wettbewerb zu organisieren. Im SPNV droht uns derzeit eine Vergabewelle, die nicht vernünftig abzuarbeiten ist.
Aber ich nenne auch das kommunale Selbstbestimmungsrecht oder den Wegfall von Transaktions- und Remanenzkosten als Argument. Der europäische Gesetzgeber hat sich ausdrücklich zu Direktvergaben bekannt. Warum sollte Berlin schärfer als Brüssel sein? Genau das haben deutsche Politiker doch fraktionsübergreifend, wie ich finde zu Recht, immer gefordert.
Sogar große Ausschreibungsbefürworter sind gegenüber Direktvergaben im eigenen Zuständigkeitsbereich nicht abgeneigt. Für Beratungs- oder Planungsaufträge von Aufgabenträgern fließen mitunter Millionensummen aus öffentlichen Kassen ohne Ausschreibung.
Wenn der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages auf dem Deutschen Nahverkehrstag in Trier behauptet, der VDV habe gemeinsam mit dem BDO den Entwurf der Bundesregierung zum PBefG geschrieben, ist das schlichtweg falsch. Wenn dem wirklich so wäre, müssten wir nicht an vielen Punkten auf Verbesserungen insistieren. Man kann ja einen Aufgabenträger-ÖPNV für den besseren ÖPNV halten. Dann aber bitte mit Argumenten dafür werben und nicht andere mit Unterstellungen verunglimpfen. So betreiben wir jedenfalls keinen politischen Dialog. 

Was wäre so falsch an einem PBefG, wie es den Grünen und der SPD vorschwebt oder wie es der Bundesrat vorschlägt?

Wolff: Wir bekämen einen Systemwechsel – weg von einem unternehmerisch verantworteten Nahverkehr hin zu einem rein staatlich bzw. öffentlich organisierten Nahverkehr. Das deutsche System garantiert der öffentlichen Hand große Mitwirkungsrechte.
Dieses Element wollen wir erhalten, ja sogar noch stärken. Aber unsere Rechts- und Wirtschaftsordnung setzt auch auf die Eigeninitiative der Anbieter und die Wahlfreiheit der Konsumenten.
Wir halten es für unbedingt erforderlich, dass diese Kräfte auch im künftigen Nahverkehr ihre positive Wirkung entfalten. Das deutsche Modell schneidet im internationalen Vergleich ja schließlich hervorragend ab. Seinen Ursprung hat dies doch in der rein unternehmerischen Tätigkeit gehabt. Seine Herkunft sollte man auch hier nie aufgeben, sondern weiterentwickeln. Unternehmen müssen also ihre Rolle behalten und Aufgabenträger einen Rahmen mit Spielräumen vorgeben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. 

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